Das Böse und eine starke Freundschaft - mit Gänsehaut-Effekt

Kreis Lippe. "Das Böse kommt auf leisen Sohlen" - und zwar zunächst einmal laut in der Form eines Zirkus mit Jahrmarkt. Die Schausteller kommen nach Greenhorn im US-Bundesstaat Illinois und die beiden Nachbarsjungen und besten Freunde Jim und Will können es kaum erwarten. Alles machen die beiden Jungen gemeinsam - sie sind unzertrennlich.

Als sie den Zug hören, der den Zirkus ankündigt, stehen sie mitten in der Nacht auf und stürmen zu der Wiese, auf der die Zelte aufgeschlagen werden. Schnell wird klar, dieser Zirkus ist nicht normal:

"In einem Zirkus sollte man Knurren und Brüllen hören wie im tiefen Wald und ganze Wolken von Staub sehen, aufgewirbelt von den Löwen. Männer müssen geschäftig herumrennen, Flaschen klirren, Futtereimer klappern, Maschinen und Elefanten stapfen, Zebras seufzen, eingeschlossen in doppelten Käfigen. Aber dies war ein Stummfilm, eine schwarz-weiße Bühne voller Geister, die ihre Lippen bewegten [...]."(S. 70)

Ab hier spätestens merkt der Leser: Das Unheil nimmt seinen Lauf. Die ganze Stadt wird in den Bann der Direktoren Mister Cooger und Mister Dark, der auch der illustrierte Mann genannt wird, weil er auf seinem Körper Tätowierungen trägt, die sich bewegen, gezogen. Doch dann verschwinden Menschen und schaurige Dinge passieren. Jim und Will sind den Ereignissen auf der Spur und schweben plötzlich in Lebensgefahr.

Zum Buch Der Roman "Das Böse kommt auf leisen Sohlen" des amerikanischen Autors Ray Bradbury erschien erstmals im Jahr 1962 in den USA. 1969 folgte dann die deutsche Übersetzung. In diesem Jahr hat der Aladin Verlag eine Neuauflage, übersetzt von Norbert Wölfl, auf den Markt gebracht.

Besonders sind vor allem das toll gestaltete Cover und die ausdrucksstarken Illustrationen von Reinhard Kleist. Jedem Kapitel wird ein kleines Bild vorangestellt. Dazu gibt es 21 ganzseitige schwarz-weiß Zeichnungen. Doch von einem Bilderbuch ist der Roman weit entfernt. Im Gegenteil: Die Illustrationen verstärken die düstere und gespenstische Atmosphäre, die der Inhalt verspüht.

Rezension Der Roman von Ray Bradbury ist ein Schauerroman in dem es um Freundschaft, das Erwachsenwerden und vor allem um Sehnsüchte geht. Der Zirkus ist ein Sehnsuchtsort. Er steht für eine andere Welt, eine Zwischenwelt, die die Menschen mit Vesprechungen lockt – doch alles hat seinen Preis und der ist hoch.

Das Buch verströmt vom Anfang bis zum Ende eine düstere Atmosphäre. Dem Leser wird sofort klar: hier stimmt irgendetwas nicht. Der Großteil der Handlung passiert nachts und der Zirkus ist voll von seltsamen Gestalten, ähnlich wie in einer Freakshow. Doch bis es wirklich spannend wird, dauert es einige Zeit. Der Autor verwendet viele Seiten darauf, die düstere Stimmung aufzubauen, die den Roman ausmacht.

Phantastische Momente werden geschickt mit dem Leben der handelnden Personen verwoben. Die übernatürlichen Ereignisse wirken zwar nicht normal aber groß wundern tut sich auch keine der handelnden Personen, ähnlich wie in einem Traum, der einfach passiert. An einigen Stellen kommt daher schon einmal die Frage auf: Träumt die Person das vielleicht jetzt alles nur? Das kann teilweise verwirrend sein.

Zeit ist ein großes Thema des Romans. Ältere Charaktere sehnen sich nach der Jugend, die Jugend sehnt sich nach dem Erwachsenenleben. Diese Sehnsucht stellt für die Freundschaft der beiden Jungen eine starke Belastungsprobe dar. Ein besonderes Karussell scheint die Lösung, doch das birgt auch Gefahr. Die handelnden Personen stehen alle an einer Schwelle zu einem neuen Lebensabschnitt. Sie befinden sich in einer Schwebe. Das wird recht früh deutlich, als einmal mehr von der Zeit die Sprache ist:

"Drei Uhr morgens, dachte Charles Halloway und hockte sich auf die Bettkante. Warum kam der Zug zu dieser Stunde an? Das ist eine ganz besondere Stunde, dachte er weiter. Um diese Zeit sind Frauen nie wach. Sie schlafen den Schlaf der Kinder. Aber Männer in mittleren Jahren? Sie kennen diese Stunde gut. Gott im Himmel, Mitternacht ist nicht weiter schlimm, man wacht auf und schläft wieder ein; ein Uhr, zwei Uhr geht auch noch, man wälzt sich eine Weile unruhig hin und her, doch man schläft wieder ein. Fünf oder sechs Uhr morgens - eine hoffnungsvolle Stunde, die Morgendämmerung lauert bereits unter dem Horizont. Aber drei Uhr - großer Gott! [...] Schlaf ist ein Stück des Todes, aber drei Uhr morgens, offenen Auges erlebt, das ist der lebende Tod!" (S. 77)

Dieser Schwebezustand macht den Charakteren Angst, weil sie nicht wissen, was als nächstes kommt. Diese Angst ist sehr real und sehr menschlich und der Autor spielt sehr geschickt damit. Er hält uns quasi einen Spiegel vor. Diese Angst ist schließlich das, was das Böse nähert.

Fazit Die große Schrift macht es leicht, den Roman zügig zu lesen. Dennoch ist es an einigen Stellen schwierig, der Handlung, besonders den philosophischen Gedankengängen von Wills Vater zu folgen, was allerdings auch an der Übersetzung liegen kann. Hier ist Konzentration gefordert.

Spannend wird es leider erst ab der Mitte des Romans. Dann gewinnt die Handlung an Fahrt und man will unbedingt wissen, wie das Buch endet und ob das Gute siegt. Das Böse schleicht sich leise, nach und nach in das Leben der Menschen, was dem Leser an einigen Stellen Gänsehautmomente beschert.

Die phantastischen Momente sind klar erkennbar aber wirken nicht fremd sondern eher traumhaft. Wer Schauerromane von E.T.A. Hoffmann oder Carlos Ruiz Zafón mag, für den ist auch &bdquo;Das Böse kommt auf leisen Sohlen" etwas. Wer dagegen brutalen Horror und Nervenkitzel erwartet, der sollte von dem Titel die Finger lassen, da der Horror viel subtiler ist.

Einfach toll ist die optische Gestaltzung des Buches. Die Zeichnungen sind sehr gelungen und passen sehr gut zur Handlung. Es macht außerdem Spaß mit der Hand über das Cover zu fahren.

Info: Der Roman "Das Böse kommt auf leisen Sohlen" von Ray Bradbury ist 2017 im Aladin Verlag erschienen. Er umfasst 352 Seiten, ist als Hardcover gebunden und kostet 25 Euro.

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